Titel
Keine Kürzung der merkantilen Wertminderung bei Vorsteuerabzug
Gerichtsinstanz
Gerichtsort
Kerpen
Urteilsdatum
2023-04-04
Aktenzeichen
111 C 97/22
Kategorie
Teaser

Hintergrund

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall beauftragte die zum Vorsteuerabzug berechtigte Geschädigte einen Sachverständigen. Dieser ermittelte u.a. einen merkantilen Minderwert von 4.500,00 €, der im Gutachten als steuerneutral bezeichnet wurde. Die eintrittspflichtige KfzHaftpflichtversicherung zahlte auf die Wertminderung einen Betrag in Höhe von lediglich 3.781,51 € – also gekürzt um einen vermeintlich bestehenden Umsatzsteueranteil in Höhe von 718,49 €.

Aussage

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist bei einem steuerneutralen Wertminderungsbetrag kein Umsatzsteueranteil in Abzug zu bringen. Laut Schadengutachten liegt der Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs bei 90.000,00 €. Wäre der Pkw unfallfrei und damit ohne Wertminderung, hätte die Klägerin einen Nettoverkaufserlös in Höhe von 75.630,25 € erzielen können. Bei einer Wertminderung in Höhe von 4.500,00 € liegt der mögliche Bruttoverkaufspreis demnach nur noch bei 85.500,00 €, sodass ein Nettoverkaufserlös in Höhe von 71.848,74 € möglich wäre. Auf diesen Betrag den Wertminderungsbetrag in Höhe von 4.500,00 € addiert, ergibt sich ein Gesamtbetrag von 76.348,74 €, also eine Mehrdifferenz in Höhe von 718,49 € zum möglichen Verkaufserlös bei Unfallfreiheit des Fahrzeuges.

So wird auch durch andere Gerichte vertreten, dass schadenrechtlich dem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten nur derjenige Betrag zu erstatten ist, der ihm verbliebe, wenn er aktuell die Wertminderung durch Veräußerung des reparierten Pkw realisieren würde (vgl. u.a.AG Remscheid, Urteil vom 10.11.2017, AZ: 8a C 190/16, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 05.08.2019, AZ: 39 C 107/19, juris; ebenfalls Freyberger, NVZ 2000, 290, 291;Freymann/Rüßmann, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 249 BGB Rn. 174, Stand: 22.02.2023).

Allerdings wird dabei verkannt, dass es sich bei der Wertminderung regelmäßig um einen steuerneutralen Betrag handelt, da die Wertminderung nicht in einem gegenseitigen Leistungsverhältnis steht und damit nicht umsatzsteuerpflichtig ist. Zum anderen stellt die merkantile Wertminderung keine Schadenposition im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB dar, bei welcher die Umsatzsteuer in Abzug zubringen wäre. Der Ersatz der merkantilen Wertminderung leitet sich aus § 251 Abs. 1 BGB ab, dass das Unfallfahrzeug im reparierten Zustand in technischer Hinsicht im gleichen Zustand ist wie ohne den Unfall, aber aufgrund der Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen niedrigeren Verkaufspreiserzielen würde (vgl. AG München, Endurteil vom 26.09.2022, AZ: 336 C1795/22, juris).

Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswertes, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Fahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil potenzieller Kaufinteressenten, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2004, AZ: VI ZR 357/03, juris). Bei einem Schadenersatzanspruch nach § 249 BGB hingegen geht es darum, den Zustand herzustellen, der ohne den Unfall bestünde. Für Fälle der Schadenregulation nach § 249 BGB gilt somit ein Bereicherungsverbot für den Geschädigten. Der Geschädigte darf nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn der Verkehrsunfall nicht geschehen wäre. Die Zahlung von Reparaturkosten dient regelmäßig der Befriedigung jenes Schadenersatzanspruches des Geschädigten.

Dagegen verfolgt der Entschädigungsanspruch der Wertminderung nach § 251 Abs. 1 BGB einen anderen Zweck. Jener Entschädigungsanspruch dient als Kompensation dafür, dass trotz des technisch gleichwertigen Zustandes auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein niedriger Kaufpreis zu besorgen ist. Die Wertminderung soll dafür entschädigen, dass potenzielle Gebrauchtwagenkäufer bei Unfallfahrzeugen – trotz technischer Gleichwertigkeit zu unfallfreien Fahrzeugen – weniger zu zahlen bereit sind. Ob der Geschädigte die Wertminderung durch Veräußerung tatsächlich realisiert, ist unerheblich.

Der Entschädigungsanspruch des merkantilen Minderwertes nach § 251 Abs. 1 BGB besteht unabhängig von einem Verkauf des beschädigten Fahrzeuges. So ist es durchaus möglich, dass der Geschädigte das Fahrzeug bis zum Ende der Lebenserwartung des Pkw weiterfährt. In einem solchen Fall realisiert sich die merkantile Wertminderung zu keinem Zeitpunkt. Ebenfalls möglich ist, dass der Geschädigte das Unfallfahrzeug erst nach mehreren Jahren weiterverkauft. Zu diesem Zeitpunkt spielt die Eigenschaft als Unfallfahrzeug wohlmöglich eine deutlich geringere Rolle bei der Kaufentscheidung als andere Faktoren wie Laufleistung, Baujahr, generelle Funktionsfähigkeit des Fahrzeuges o.ä. In derartigen Fällen realisiert sich die Wertminderung ebenso wenig in voller Höhe, wenngleich sie bei der Schadenregulierung grundsätzlich vollständig erstattet wurde. Es ist widersprüchlich, derartige Konstellationen unberücksichtigt zu lassen, eine Vorzugssteuerabzugsberechtigung im Rahmen des Entschädigungsanspruchs der merkantilen Wertminderung nach § 251 Abs. 1 BGB jedoch zu berücksichtigen.

Wenn man akzeptiert, dass der Geschädigte eine merkantile Wertminderung auch dann erhält, wenn er das Fahrzeug nicht oder zu einem deutlich späteren Zeitpunkt verkauft, muss man auch hinnehmen, dass dies unabhängig davon ist, ob bei einem Weiterverkauf eine Umsatzsteuer angefallen wäre, da der Verkauf gerade keine Voraussetzung für die Gewährung der Wertminderung ist und folglich auch keine Relevanz für deren Höhe haben kann. Gegen einen Abzug der Umsatzsteuer sprechen schließlich der Wortlaut und die Systematik von § 249 BGB und § 251 BGB.

Während § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB explizit bestimmt, dass – sofern ein Geldbetrag als Schadenersatz geleistet wurde, die Umsatzsteuer nur eingeschlossen ist, wenn sie auch tatsächlich angefallen ist, enthält § 251 BGB eine vergleichbare Regelung nicht. Eine entsprechende Anwendung von § 249 Abs. 2 BGB oder ein Verständnis dieser Norm dahingehend, sie als allgemeingültig für das gesamte Schadenrecht nach §§ 249 ff. BGB zu betrachten, scheidet schon mit Blick auf den gesetzgeberischen Willen aus. Denn in der Begründung des Gesetzesentwurfes (ST-Drucks. 14/7752, S. 13) heißt es, dass die Neuregelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB sich ausschließlich auf die Restitutionsfälle des § 249 BGB beschränkt und Kompensationsfälle des § 251 BGB nicht einschließt.

Beide Fälle sind im Hinblick auf ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu differenzieren. Sich aus einer Kompensation nach § 251 Abs. 1 BGB etwaig ergebende wirtschaftliche Vorteile des Geschädigten sind aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers somit hinzunehmen (vgl. AG Nürnberg, Urteil vom31. Oktober 2022 -240 C 3118/22-, Rn. 17, juris).

Praxis

Das Gericht stellt hier bei der Frage, ob bei einem zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten ein der Mehrwertsteuer entsprechender Abzug vorzunehmen ist, zutreffend auf § 251 BGB ab. Die Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach Umsatzsteuer nur zu ersetzen ist, wenn und soweit sie angefallen ist, bezieht die Kompensationsfälle des § 251 BGB nicht ein. Im § 249 BGB geht es um die Wiederherstellung einer beschädigten Sache. Im § 251 BGB geht es hingegen um das Wertinteresse, wenn die Sache in ihrem ursprünglichen Zustand nicht wiederherstellbar ist. Die Wertminderung ist (ebenso wie die Wertverbes

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