Titel
Merkantile Wertminderung bei Vorsteuerabzug
Gerichtsinstanz
Gerichtsort
Soltau
Urteilsdatum
2023-02-20
Aktenzeichen
4 C 150/2
Kategorie
Teaser

Hintergrund

Die Parteien streiten über die Erstattung restlicher Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall. Während die Haftung der Beklagten dem Grunde nach außer Streit steht, musste das Gericht über die Erstattungsfähigkeit von Verbringungs- und Desinfektionskosten und der Zahlung einer merkantilen Wertminderung entscheiden. Die Klägerin ist zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Aussage

Nach Ansicht des Gerichts sind die Kosten vollumfänglich von der Beklagten auszugleichen.

Auf die in Rechnung gestellten 159,00 € für die Verbringung des Fahrzeugs regulierte die Beklagte lediglich 100,00 €. Die Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von Verbringungskosten bestreitet die Beklagte nicht. Dazu ist es gerichtsbekannt, dass kein Reparaturbetrieb im Raum Schneverdingen über eine eigene Lackiererei verfügt. Das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der tatsächlichen Verbringung und des tatsächlichen Anfalls von Verbringungskosten erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein und ist unbeachtlich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Werkstatt Kosten abgerechnet hat, die sie tatsächlich nicht erbracht hat. Dem Kläger obliegt auch keine Pflicht, eine Fremdrechnung zu beschaffen und vorzulegen. Der Rechnungsbetrag deckt sich mit den von dem Schadengutachten kalkulierten Kosten, sodass von einer Erforderlichkeit der Kosten auszugehen ist.

Auch die Desinfektionskosten in Höhe von 55,20 € sind erstattungsfähig. Dabei stellt das AG Soltau zunächst klar, dass diese Position in der Rechtsprechung höchst umstritten ist. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts sind die pandemiebedingten Desinfektionskosten adäquat kausal auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Ohne den Unfall wäre keine Reparaturbedürftigkeit entstanden und damit auch nicht das Erfordernis, in der Pandemiezeit im Rahmen der Reparatur Vorsorge zum Infektionsschutz zu treffen. Dazu stellt das Gericht klar, dass nach seiner Ansicht die Flächendesinfektion auch medizinisch notwendig war und beruft sich dabei auf die zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Hinweise des Robert-KochInstituts.

Zuletzt stellt das Gericht fest, dass auch de Wertminderung in vollem Umfang ohne Abzug eines Mehrwertsteueranteils von 39,92€ wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin zu erstatten.

Die merkantile Wertminderung ist eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Fahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Fahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbarem Sachschaden dar. Das AG Soltau beruft sich dabei auf eine Entscheidung des AG München (Urteil vom 26. September 2022 – 336 C 1795/22).

„Das erste Argument ist der Wortlaut des Gesetzes: Der für die Wertminderung einschlägige § 251 BGB enthält anders als § 249 II 2 BGB keine Regelung, dass die Mehrwertsteuer nur zu ersetzen ist, wenn diese tatsächlich anfällt. Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass beim Wertersatz nach§ 251 BGB die Mehrwertsteuer auch dann in dem zu erstattenden Betrag enthalten ist, wenn diese bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten konkret nicht anfällt.

Das zweite Argument ist ein logischer Vergleich. Ob und inwieweit die Wertminderung sich tatsächlich realisiert, hat keinen Einfluss auf deren Erstattungsfähigkeit, wie der Vergleich mit anderen Fällen zeigt. Die Argumentation, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten abzu – ziehen, weil sie bei diesem nicht anfällt, ist nicht logisch, da zu bedenken ist, dass sogar der Umstand, dass die Wertminderung in vielen Fällen im Ganzen nicht anfällt, nicht dazu führt, dass kein Anspruch auf Wertminderung bestehen würde. Nur wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur als Gebrauchtwagen zu dem angenommenen Minderwert verkauft, wirkt sich die Wertminderung überhaupt aus. Es ist aber Sache des Geschädigten, ob er das Fahrzeug verkauft oder nicht. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur behält und schlichtweg bis zum Zeitpunkt der Entsorgung weiter behält, realisiert sich die Wertminderung zu keinem Zeitpunkt. In diesem Fall enthält der Geschädigte die Wertminderung als Kompensation für einen merkantilen Minderwert, obwohl sich dieser in keiner Weise auswirkt. Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung wirkt sich in diesem Fall nicht aus, sondern unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung hat der Geschädigte einen Vorteil, den man für ungerechtfertigt halten kann, der aber dennoch allgemein akzeptiert wird. Ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Geschädigter erhält den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil} und darf, selbst wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, sondern behält, den Ges amtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) behalten.

(…)

Insgesamt ist das Gericht der Ansicht, dass die Wertminderung keine betragsmäßig feststehende Schadensposition ist, sondern ein der richterlichen Schätzung unterliegender Entschädigungsbetrag dessen Höhe unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu schätzen ist.“

Praxis

Das AG Soltau befasst sich in seinem Urteil mit den höchst umstrittenen Positionen Desinfektionskosten und merkantile Wertminderung bei Vorsteuerabzugsberechtigung. Bei beiden Positionen entscheidet das Gericht zu Gunsten des Geschädigten. Hinsichtlich der Desinfektionskosten muss jedoch davon ausgegangen werden, dass nach Beendigung der Corona Maßnahmen auch mit einem Wandel der Rechtsprechung zu rechnen ist. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte zunehmend restriktiver über die Erstattungsfähigkeit dieser Position urteilen werden.

Anlagen

Links

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